Eine literarische Reise durch die Eifel:
„Alfred Andersch? – Nein, den habe ich nicht mehr gekannt“, sagt die junge Bäuerin und schütelt energisch den Kopf. „Aber ich weiß, dass er hier ein und aus ging, seine spätere Frau hat ja bei Bischofs gewohnt.“
Ein Schriftsteller wird gesucht. Ausgerechnet in Rommersheim. Das verschlafene Eifeldorf bei Prüm spukte Alfred Andersch (1914 – 1980) durch den Kopf, als er „Winterspelt“ schrieb. Winterspelt ist Rommersheim. Und Andersch ein unerbittlicher Beobachter: „Auffällig die Menschenleere, die Leblosigkeit… Die Siedlungen der Eifel waren nicht schön, oder auch nur anmutig, malerisch, sondern ohne Gefühl für Form, abweisend.“ Die Bäuerin im Eifelhof zuckt die Achseln: „Den Roman hat hier kaum jemand verstanden. Ein schwieriges Buch.“
Die Schriftsteller und die Eifel – eine schattenreiche Geschichte. Sie erzählt von glühender Heimatliebe und tiefer Verzweiflung über Enge und Angepasstheit, sie verherrlicht Müh und Arbeit, berichtet naiv über Feste, sozialkritisch über Sitten und Bräuche. Es gibt nicht die typische Eifel in der Literatur. Jeder Autor sieht die Landschaft anders.
Der Organisator und Initiator des Eifelliteraturfestivals, Dr. Josef Zierden, brachte ein Lexikon heraus, in dem rund 300 Autoren mit Eifelerfahrung genannt sind, darunter Berühmtheiten wie Ernest Hemingway, Charles Bukowsky, Goethe, Mario Adorf, Heinrich Böll, aber auch Vergessene, Unbekannte, Heimatdichter.
Fromme Sagen haben sie notiert und bissige Karikaturen, spannnende Krimis, romantische Erzählungen, schreckliche Kriegsberichte, experimentelle Gedichte.
Vielfältiger könnten seine Fundstücke nicht sein. „Eine Landschaft wie ein verregneter Sonntag mit Glockenläuten“, nennt Albert Pütz (63) die Eifel. Verzückt ist Hermann Löns (1866 – 1914): „Ich freue mich an allem, was da lebt und webt und grünt und blüht.“ Ins schiere Schwärmen gerät Charles Kingsley (1819 – 1875): „Ich habe solche Wunder wahrgenommen. Krater mit gespensterhaft blauen Seen..“
Ein Symbol für die eruptiven Entladungen menschlicher Leidenschaften sieht Emmi Elert (1864 – 1917) in der „vulkanischen Erde“. Und Eifelpreisträgerin Ursula Krechel (47) verdichtet diesen Gedanken zu einem Szenario unterdrückter Begierden.
Wer auf den Spuren dieser Autoren durch die Südeifel reist, sieht mehr als die touristisch aufgeputzte Idylle, fährt nicht achtlos an Höfen vorbei, die einsam und abgeschottet dem Umfeld trotzen, sondern fragt, wie sehr das karge Land seine Bewohner prägt.
Und wenn er nach Eisenschmitt kommt, in dieses entlegene, von waldigen Bergen umrahmte Nest, spukt ihm vielleicht eine Geschichte durch den Kopf, die von Armut und Not erzählt, aber auch von einem Skandal, der die Grundfesten des Ortes erschütterte.
Auf den ersten Blick ist davon nichts zu sehen. Die Sonne leckt über die Asphaltstraße, ein paar Frauen, die Kittelschürzen glattgestrichen, schlurfen durch die Gassen, ein alter Mann, den Rücken tief gebeugt, setzt Kartoffeln. Frühjahr nistet im Gemäuer. Die Nässe kriecht durch zugige Ställe, ein Schäferhund döst unterm Lindenbaum.
Clara Viebig (1860 – 1952), die bedeutendste Erzählerin des deutschen Naturalismus, hat das Dorf um die Jahrhundertwende auf einen Schlag berühmt gemacht. Ein Ort ohne Männer, ein „Weiberdorf“ ist ihr Eisenschmitt, denn die Familienväter des Ortes zog es damals aus dem kargen, armseligen Salmtal ins Ruhrgebiet, wo sie mühsam ihr Brot verdienten.
Zurück blieben die Frauen und Pit Miffert, der am linken Bein lahmte. Ein Objekt weiblicher Begierede: „Sie hielten ihn umstellt, wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe den waidwunden Bracken; ihre Augen glänzten und glitertzen, sie maßen sich untereinander mit Raubtierblicken – wem fiel er zu?“
So viel Deftigkeit war den Eisenschmittern zu viel. Sie bedrohten die Dichterin, wüteten gegen diese Unverschämtheit. – Verziehen haben sie ihr nie. Zwar prangt die Clara mittlerweile auf dem Dorfbrunnen, direkt vor der Kirche, und jedermann kann dort ihr Profil bewundern, aber er muss sich schon bücken, denn die Viebig wurde bewusst auf die unterste Ebene verbannt, um die „eher untergeordnete Bedeutung“ des Romans „in der Geschichte Eisenschmitt“ zu dokumentieren.
Nur wenige Kilometer weiter, im sagenumrankten Manderscheid, dessen Burg – einem traumseligen Märchen gleich – zwischen hoch aufragenden Bergen klebt, hat Stefan Andres (1906 – 1970) seine Novelle „Der Menschendieb“ angesiedelt, die vom Beschränkten und Kleinbürgerlichen erzählt, das im Windschatten dieser Berge – in langen und düsteren Wintertagen – oft vortrefflich gedeiht.
Doch dann öffnet sich der Wald: Kloster Himmerod triumphiert im Sonnenlicht. Grandiose Einsamkeit, die Albert Pütz zu einer literarischen Geheimtagung ehemaliger Hitleroffiziere inspirierte. Ihr Plan: Aufbau einer neuen Wehrmacht zum Kampf gegen den Bolschewismus. Ein düsteres Szenario, das so gar nicht zu der weitläufigen Gelassenheit passen will, die der Abtei an einem heiteren Tag so prächtig steht: Im Restaurant schwatzen Ausflügler, Harfenklänge schweben durch die Bücherstube, ein Gärtner harkt den Sommer ein.
Aber das Sagenhafte ist allgegenwärtig: „Nach Sonnenuntergang füllt sich das Wasserrevier mit grünstichigem Licht“, schreibt Albert Pütz. „Im allerletzten Licht wächst und blüht eine Stille wie hinter dick verstaubten Tüllvorhängen. Noch heute hält sich jeder Fischer im Himmeroder Talgrund für verflucht, wenn er in diesem Moment der großen kosmischen Energie, ein Christ würde sagen, in diesem Moment der Gottesgegenwart, sein Netz oder seinen Köder auswirft, um Fisch zu landen.“
Vielleicht sind es solche Geschichten, die Theodor Weißenborn (62) in die Einöde ziehen. Fernab vom Treiben der Welt reflektiert er gern über das Wesen der Zeit und die Vergänglichkeit. Und wer den Schriftsteller besuchen will, muss eine kilometerweite Reise über Landstraßen zurücklegen, dichten Wald und frisch gemähte Felder an sich vorbeiziehen lassen, Witterung mit der Einsamkeit aufnehmen.
Ein Jahrhundert zuvor wählte Peter Zirbes (1825 – 1901), der gemeinhin als der erste Eifeldichter gilt, notgedrungen den umgekehrten Weg. Er reiste als wandernder Steinguthändler sozusagen von Leser zu Leser und mühte sich Tag für Tag, seinen Unterhalt zu verdienen – mit Krügen und Gedichten: „Wollt ihr, dass ich noch fort singe? Gebt mir Brot! Frohes Lied nicht, herbe Klage bringt die Not.“
Sein Wohnhaus in Niederkail bei Wittlich liegt wie verwunschen im Talgrund und öffnet sich mit einem kleinen Museum für Besucher, die nachempfinden möchten, wie karg und düster, wie beschränkt und ärmlich dieses Dasein war. Und manch einer ahnt, warum in diesen geduckten Wohnstuben das Sagenhafte und Gespenstische gedieh, dem sich selbst ein Autor wie Ernest Hemingway nicht entziehen konnte.
In unvergleichlicher Härte hat er den Krieg „an der Siegfriedlinie“ beschrieben. Doch angesichts der schweigend-düsteren Berge und der wispernden Wälder durchzog auch ihn ein Frösteln, das er in den „49 Depeschen“ notiert: „Das Wetter war umgeschlagen. Es war kalt, es goss, ein halber Sturm wehte, und vor uns lagen wie eine Mauer die schwarzen Forsten der Schnee-Eifel, wo die Drachen hausten.“
Die Eifel und ihre Dichter. Anspruchsvoll wie kaum ein anderer hat Alfred Andersch in der Erzählung „Die Letzten vom Schwarzen Mann“ den leisen Zwischentönen, dem sagenumwobenen Unterbau, der Psychologie der Landschaft im Herzen Europas nachgesp+rt – einer Landschaft, die so weitläufig und erhaben ist, dass sie von Menschen gezogene Grenzen lächerlich macht, und jedem, das gibt, was er in ihr sucht: „Roland liebte Grenzen, weil an ihnen die Länder unsicher wurden. Sie verloren sich in Wäldern, zerfransten sich in Karrenwegen, die plötzlich aufhörten, in Radspuren, in Fußpfaden, unterm hohen gelben Gras, das niemand schnitt, in Sümpfen, Wacholder, verrufenen Gehöften, Einsamkeit, Verrat und Bussardschrei. Schnee-Eifel hieß das, Ardennen, Hohes Venn…“